1. „Fremd“ per Geburt. Wie das österreichische Staatsbürgerschaftsrecht Ausschluss produziert

36 Kinder kommen in Österreich jeden Tag zur Welt, denen etwas Wichtiges für ihr Leben in Österreich fehlt: die österreichische Staatsbürgerschaft. Damit wird durchschnittlich eines von sechs Babys in Österreich als sogenannter „Fremder“ oder „Fremde“ geboren. Der Grund liegt im österreichischen Recht. Österreich hält beim Erwerb der Staatsbürgerschaft per Geburt strikt am Abstammungsprinzip fest.

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Im Land geborene „Fremde“

Die österreichische Staatsbürgerschaft wird quasi vererbt: Kinder erwerben sie automatisch bei ihrer Geburt von ihren Eltern. Mindestens ein Elternteil muss dazu Österreicherin oder Österreicher sein. Das Prinzip wird Abstammungsprinzip oder ius sanguinis genannt. Der Ort der Geburt spielt dabei keine Rolle. Kinder, deren Eltern keine österreichische Staatsbürgerschaft haben – zum Beispiel weil sie zu wenig verdienen, oder sich die Gebühren nicht leisten können – , die Kinder dieser Eltern gehen leer aus.

Kinder also, die in Österreich zur Welt kommen, die hier aufwachsen und zur Schule gehen, die nie wo anders gelebt haben und vielleicht nie wo anders leben werden, gelten rechtlich trotzdem als „fremd“. Und das hat weitreichende Konsequenzen. Wie neu Zugereiste haben die Kinder in den ersten Jahren nur einen befristeten Aufenthaltstitel. Das schafft Unsicherheit und verursacht Kosten. Judith Hörlsberger ist Mitarbeiterin beim Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen: „Während des Verlängerungsverfahrens kann es sein, dass man überhaupt keinen Aufenthaltstitel in der Hand hat, den man vorweisen kann. Es kann sogar passieren, dass familiäre Leistungen wie Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld nicht ausbezahlt werden.“

Um auch rechtlich als ÖsterreicherInnen zu gelten, müssen in Österreich geborene Kinder um die Staatsbürgerschaft ansuchen und sich in einem komplizierten, langwierigen und teuren Verfahren einbürgern lassen. Mehr als ein Drittel aller Einbürgerungen in Österreich jedes Jahr betrifft im Inland geborene Kinder. Besondere Hürden sind da die Einkommensvoraussetzungen und die Unbescholtenheit. Wenn die Eltern zu wenig verdienen, so Hörlsberger, können sich die Kinder nicht einbürgern lassen.

Es geht aber auch anders

Beim sogenannten Geburtslandprinzip, auch ius soli genannt, dient der Ort der Geburt als Anknüpfungspunkt für die Staatsbürgerschaft. Kinder niedergelassener Eltern kommen nicht automatisch als rechtlich „fremde“ sondern als StaatsbürgerInnen zur Welt.

Rainer Bauböck ist Professor am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz und leitet dort ein Forschungsprogramm zum Vergleich von Staatsbürgerschaftsrecht und -praxis. Praktisch alle Staaten der Welt kennen das Abstammungsprinzip, ein erheblicher Teil wendet aber zusätzlich auch das Geburtslandprinzip an. Bauböck erklärt es anhand eines Beispiels: „Die Vereinigten Staaten von Amerika haben ein unbedingtes Geburtslandprinzip. Jedes Kind, das auf amerikanischen Territorium geboren wird, ist automatisch amerikanischer Staatsbürger. Gleichzeitig haben die USA aber auch das Abstammungsprinzip, weil die im Ausland geborenen Kinder von amerikanischen Staatsbürgern ebenfalls amerikanische Staatsbürger per Geburt sind.“

Eindeutiger Trend in Europa

Immer mehr Staaten in Europa kombinieren das Abstammungsprinzip mit dem Geburtslandprinzip. Deutschland im Jahr 2000, Finnland 2003, Portugal 2006, Luxemburg 2009 und Griechenland 2010. Diese Staaten kannten alle wie Österreich nur das Abstammungsprinzip. Sie haben aber in den letzten Jahren zusätzlich ein bedingtes ius soli eingeführt. Ein Geburtslandprinzip also, das ab einer bestimmten Aufenthaltsdauer oder einem bestimmten Aufenthaltstitel der Eltern zu greifen beginnt. Österreich hat 2013 ebenfalls sein Staatsbürgerschaftsgesetz novelliert. Das Geburtslandprinzip war dabei aber so gut wie kein Thema.

„Weltfremde Vorstellungen“

Das ist aber nicht die einzige internationale Entwicklung, der sich Österreich verweigert. Bei einer Einbürgerung verlangt Österreich die Rücklegung der bisherigen Staatsbürgerschaft. Doppelstaatsbürgerschaften sollen so verhindert werden. Dabei sind diese auch in Österreich weit verbreitet. Sie entstehen heute automatisch bei der Geburt. Wenn zum Beispiel Eltern ihre unterschiedlichen Staatsbürgerschaften auf ihre Kinder übertragen.

Rund die Hälfte aller Staaten weltweit akzeptiert heute Doppelstaatsbürgerschaften bei der Einbürgerung. Österreich hingegen zwingt Einwanderer weiterhin, sich zwischen den Staatsbürgerschaften zu entscheiden. Und damit bei einer Einbürgerung in Österreich auf Rechte im Herkunftsland zu verzichten.

Für Rainer Bauböck beruht dieses Festhalten am Verbot der Doppelstaatsbürgerschaft auf weltfremden Vorstellungen:

„Man stellt sich die Welt halt so vor, als sei sie nicht nur in Staatsgebiete unterteilt, sondern auch in Staatsvölker, die einander nicht überlappen können. Das ist eine weltfremde Vorstellung, die nur mehr als Rechtsfiktion aufrechterhalten werden kann. Gerade durch Migration kommt es zu diesen überlappenden Zugehörigkeiten von Menschen.“

Gestaltung: Gerd Valchars

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