Das Wien Anfang der 80er Jahre ist lebendig und widerständig, voll von aktionistischen Aktivitäten und Hausbesetzungen. Die Geschichte der Rosa Lila Villa ist ein Beispiel dafür,
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Die Hausbesetzer_innen-Szene in Wien
Das Wien Anfang der 80er Jahre ist lebendig und widerständig, voll von aktionistischen Aktivitäten und Hausbesetzungen. Die Jugend protestiert gegen einen autoritär kontrollierten Stadtraum, der auf Arbeitsdisziplin, Konsum und Wohlfahrtspolitik basiert. Die Forderungen nach alternativen Lebensmodellen, nach Freiheit, Selbstbestimmung und individueller Entfaltungsmöglichkeit werden laut. Sie spiegeln sich in den zahlreichen besetzten Häusern der Stadt wider.
Viele Häuser, die der Stadt gehören, sind Anfang der 80er Jahre abbruchreif. Einige davon werden den Hausbesetzer_innen zur „legalen Instandbesetzung“ überlassen. Die Geschichte der Rosa Lila Villa ist ein Beispiel dafür, wie unterschiedlich dieser Häuserkampf verlaufen ist, denn
„es gab eine Besonderheit in der Zeit, nämlich, dass die besetzten Häuser ja so besetzt nicht waren, sondern in Verhandlungen mit der Stadt festgelegt wurde, welches als nächstes besetzt, bzw. übergeben werden sollte.“
erzählt Marcel. Er wohnt in der Rosa Lila Villa und arbeitet ehrenamtlich als Berater im Türkis Rosa Lila Tipp, der Beratungsstelle für Trans, Schwule und Queerpersonen. Die Aktivist_innen haben sich damals in der Hosi, der Homosexuellen Initiative organisiert. Einige von Ihnen wollten allerdings nicht so lange warten, bis die Stadt Wien ihnen einen Raum zur Verfügung stellt. Und so haben sie kurzerhand beschlossen, die Rosa Lila Villa zu besetzen.
Gender- und Queerforschung
Die Auseinandersetzungen mit der Hosi reichten jedoch weiter. Vor allem, so Marcel, auch über inhaltliche Fragen:
„Was Lesben und Schwule sind und wollen, ob sie als normal gelten wollen und angepasst sein sollen oder umgekehrt, dass sich die Gesellschaft sich soweit ändern kann, dass Lesben und Schwule nicht normal sein müssen, sondern einfach Lesben und Schwule sein können.“
Während in den 70er Jahren die Unterscheidung von lesbisch und schwul ausreichte, haben sich im Hinblick auf die Gender- und Queerforschung die Fragen der Geschlechterrolle und der Geschlechtsidentität stark verändert. Queer steht heute einerseits für die gesamte Bewegung, wie auch für die einzelnen ihr angehörenden Personen. Queer sein bedeutet, schwul, lesbisch, bisexuell, intersexuell, transgender, bdsmler oder asexuell zu sein.
Der Queer-Begriff schließt in der neuen Theorie so gut wie alles mit ein. Wenn alle queer sind, besteht die Gefahr, die realen Probleme und die Ungleichbehandlung von Homosexuellen und Transpersonen zu verschleiern. Denn die haben nach wie vor mit Diskriminierung zu kämpfen.
Homosexualität als Asylgrund
Die Aktivist_innen der Rosa Lila Villa arbeiten heute verstärkt mit verschiedenen Vereinen zusammen und unterstützen schwule, lesbische, bisexuellen und transgender Asylsuchende. Sie organisieren Unterkunft, medizinische Betreuung und bieten einen Anschluss an die Szene.
Seit 1991 können verfolgte Lesben, Schwule und Transpersonen in Österreich politisches Asyl erhalten. Die Frage, ob Homosexualität ein Asylgrund sein kann, beschäftigt zur Zeit auch den europäischen Gerichtshof. Ausschlaggebend dafür sind drei Fälle von homosexuellen Asylwerbern, denen das niederländische Ministerium für Einwanderung und Asyl einen negativen Bescheid zugestellt hat. Die Begründung lautet: Es sei Ihnen zuzumuten, sich in ihrer Heimat beim öffentlichen Ausleben ihrer Homosexualität zurückzuhalten. Diese und ähnliche Haltungen sind nach wie vor weit verbreitet. Denn eine beinahe rechtliche Gleichstellung bedeutet noch nicht eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung.
Gestaltung: Ida Divinzenz Foto: Thomas Ledl