Weihnachten 1961: Der Wirtschaftkammerpräsident Julius Raab von der ÖVP trifft den Gewerkschaftschef Franz Olah von der SPÖ zu inoffiziellen Verhandlungen. Zusammen legen sie den Grundstein für eine rassistische Beschäftigungspolitik und erschaffen eine neue leicht auszubeutende Arbeiter_innenklasse: die sog. Gastarbeiter.
Vermutlich war es hier im „Kanzleramt“, dem Lieblingsbeisl von Julius Raab, in dem sie sich getroffen haben. Denn die offiziellen Regierungsverhandlungen zum Anwerbeabkommen sind Anfang der 60er Jahre praktisch eingeschlafen. Raab und Olah wollten dennoch eine Lösung finden und ernteten dafür parteiintern heftige Kritik. „Alle haben fürchterlich getobt“, hat Olah im nach hinein darüber gesagt.
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Rotationsprinzip, Inländerprimat und Kontingentlösung
Die Ausgangssituation erklärt die Historikerin Vida Bakondy folgendermaßen:
„Natürlich hat Arbeitsmigration aus der Türkei nach Österreich schon vor dem Abkommen stattgefunden. Und im Fall von Jugoslawien gab es ein zunehmendes Interesse, denn die Arbeitsmigration aus Jugoslawien war schon Anfang der 60er Jahre von massiver Bedeutung für die österreichische Wirtschaft.“
Die Idee ausländische Arbeiter_innen ins Land zu holen war nicht neu. Die Nachbarländer Deutschland und die Schweiz hatten schon Erfahrung damit und waren die Vorbilder für die Richtlinien, die die Beschäftigung für Ausländer_innen regeln sollte: 1. das Rotationsprinzip, die Idee, dass Ausländer_innen wieder zurückgehen sollten, 2. das Inländerprimat, dass die Inländer_innen bevorzugt behandelt werden sollen und 3. die Kontingentlösung, dass jährlich eine neue Zahl an Arbeitsbewilligungen verhandelt werden muss. Österreich war also spät dran und daraus ergaben sich mehrere Probleme. So Bakondy:
„... von Seiten der Wirtschaft gab es große Befürchtungen, dass Österreich als Arbeitsplatz für ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht attraktiv genug sei. Die Löhne waren in Österreich um 25% niedriger. So sind viele österreichische Arbeiter in die BRD und die Schweiz. Das war ein massives Problem.“
Die Wirtschaft wollte die Reisefreiheit einschränken und ein Auswandern von österreichischen Arbeiter_innen per Gesetz verbieten. Gegen den Gesetzesentwurf gab es jedoch massiven Widerstand der Gewerkschaft, die auch strikt gegen das Anwerben von ausländischen Arbeitskräften war. Um jedoch die zusätzlichen Arbeitskräfte für die Wirtschaft bereitstellen zu können, hat der ÖGB zusammen mit dem Sozialministerium Programme erarbeitet, die erfolglos waren. Schließlich einigte man sich auf ein System, dass bereits in der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn gut funktioniert hatte: die Menschen konnten in die großen Städte migrieren, solange sie Arbeit hatten bleiben und mussten zurück in die Heimatgemeinde, wenn sie die Arbeit verloren haben.
Inländische und ausländische Arbeiter_innen.
Der ÖGB hat die Arbeiterklasse entzweit. So wurden bereits 1960, also vor dem Raab-Olah Abkommen, Kontingente für Saisonarbeiter_innen erlassen, die gemeinsam vom Sozialministerium mit dem ÖGB festgelegt wurden. Bereits damals zeigte sich schon, dass der ÖGB keinerlei Interesse daran hatte, ausländische Arbeitskräfte länger als unbedingt nötig im Land zu behalten. Eigentlich klingt das nach Interessen der Arbeitgeber, der Wirtschaft, je nach Auftragslage mal mehr, mal weniger Menschen beschäftigen zu können. Wieso aber die Gewerkschaften das zugelassen haben, das hat sich auch Arif Akkılıç vom Arbeitskreis Archiv der Migration, gefragt:
„Wie kann das ein Gewerkschafter machen, der ja die Aufgabe hat die Interessen der arbeitenden Menschen, der Arbeiterklasse zu vertreten. …In dem Moment war die Arbeiterklasse entzweit.“
Die Rolle, für die sich der ÖGB entschieden hat, ist klar: er hat die Spaltung in inländische und ausländische Arbeiter_innen nicht nur zugelassen, sondern auch aktiv mit gestaltet. Über das Warum kann nur spekuliert werden.
Gestaltung: Ida Divinzenz Sprecher: Oskar Gogl, Andreas F. Lindermayr