7. Geplante Ungemütlichkeit. Soziale Ausgrenzung und Disziplinierung durch Stadtmöblierung

Im Eingangsbereich zum Kaufhaus Gerngross ist künstliches Vogelgezwitscher von Band zu hören. Seit der Renovierung vor ein paar Jahren läuft das Vogelgezwitscher während der Öffnungszeiten dort in Endlosschleife. Früher war der Aufgang direkt von der U-Bahn ein beliebter Treffpunkt für Obdachlose. Heute ist niemand mehr dort.

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Das nervige Gezwitscher ist eines von vielen Beispielen, den Aufenthalt im öffentlichen Raum durch mehr oder weniger subtile Maßnahmen zu kontrollieren. Skurrile Gesetze und Paragraphen finden dabei ebenso Anwendung wie architektonische Maßnahmen und Akzente in der Stadtgestaltung. In beiden Fällen gilt: Verdrängung findet statt, ohne dass die Mehrheit der StadtbewohnerInnen das überhaupt merkt.

„Unbegründete Stehenbleiben“ auf Gehsteigen

Robert Sommer war vor 18 Jahren Mitbegründer der Wiener Straßenzeitung Augustin und ist heute noch tragende Säule des Projekts. VerkäuferInnen des Augustins sind eine typische Zielgruppe der Verdrängungsmaßnamen aus dem öffentlichen Raum. Sie finden in einer Intensität statt, die für Nicht-Betroffene kaum vorstellbar ist. Kontrollen und Wegweisung sind ein fester Bestandteil des täglichen Lebens. Der Polizei steht dabei ein ganzes Instrumentarium von Gesetzen zur Verfügung, so Robert Sommer, das für unsereins nie angewendet wird.

So gibt es beispielsweise einen Paragraphen in der Straßenverkehrsordnung, der das Verhalten auf Gehsteigen regeln soll und der das – wie es heißt –  „unbegründete Stehenbleiben“ bestraft. Ein Verstoß wird mit einer Strafe von EUR 100,- oder 50 Stunden Haft geahndet.

Sozialer Ausschluss und Verdrängung erfolgen aber nicht nur per Gesetz, sondern – weit subtiler – auch durch Architektur und Stadtgestaltung. Der Kreativität scheint keine Grenzen gesetzt. Sitzbänke auf Bahnhöfen, in U-Bahnstationen oder Einkaufsstraßen werden kürzer, um nicht darauf liegen zu können, werden mit Armlehnen in der Mitte ausgestattet oder verschwinden ganz. „Sitzverhinderungsmaßnahme“ heißt das im Verwaltungsjargon. Jens Dangschat, Stadtsoziologe am Department für Raumplanung der Technischen Universität Wien spricht von „subtilen Codes“, die den Menschen Abweisung signalisieren sollen.

„Die Geschäftsleute haben mehr Macht in der Stadt als die Sandler“

Als Beispiele nennt der Dangschat die vielen neugestalteten Bahnhöfe. Bahnhöfe waren traditionell Aufenthaltsorte und Treffpunkte sehr vieler unterschiedlicher Personen. Durch ihre Umgestaltung in Einkaufszentren sollen sie als Orte für Nicht-KonsumentInnen uninteressant und ungemütlich werden. Robert Sommer pflichtet ihm bei: „Die Anwesenheit von ausgesprochenen Nicht-Konsumenten wird als störend empfunden. Ich weiß nicht, warum sie störend sind, aber sie gelten als störend. Die Geschäftsleute wollen das nicht, und die Geschäftsleute haben mehr Macht in der Stadt als die Sandler.“

Am Hamburger Hauptbahnhof und unter den Arkaden des Bregenzer Kornmarkttheaters wurde versucht, Obdachlose durch Dauerbeschallung mit klassischer Musik loszuwerden. Einen anderen Weg hat der Bürgermeister eines Pariser Vororts gewählt. Er wollte Obdachlose mit einem stinkenden Gas vertreiben. „Malodore“ verbreitet einen extremen Geruch, der Übelkeit auslöst, gezielt versprüht werden kann – zum Beispiel unter Brücken oder bei Notausgängen –, und mehrere Wochen anhält. Die MitarbeiterInnen der Straßenreinigung weigerten sich allerdings, das Mittel anzuwenden.

Es sind aber keinesfalls immer Obdachlose, die vorgeblich die Ästhetik stören und vom Konsum abhalten. In Attnang-Puchheim ärgerte man sich vor ein paar Jahren über Jugendliche, die im öffentlich zugänglichen Schlosshof abhingen und angeblich PassantInnen belästigten. Die Stadtverwaltung montierte daraufhin ein Gerät, das einen hochfrequenten Signalton ausstrahlt. Der Ton ist so hoch, dass er von Erwachsenen nicht gehört werden kann, da die Hörleistung mit dem Alter abnimmt. Für Kinder und Jugendliche ist der Ton aber so unangenehm, dass er auf Dauer Kopfschmerzen auslöst. Auch vor dem Sex-Shop auf der Mariahilfer Straße hat man so ein Gerät montiert. Es sorgte 2008 für Aufregung als Medien darüber berichteten. Die Geschäftsführung des Sex-Shops beruhigte damals: Es sei eh nicht eingeschaltet und werde jetzt abmontiert. Das war vor fünf Jahren, es prangt heute noch über dem Eingang des Geschäfts.

Gestaltung: Gerd Valchars

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