Das Gebäude Gumpendorfer Straße 135 wurde 1893 als Bleicherei der Firma Heller und Sohn errichtet. Gegenüber, auf Nummer 145, ist der eigentliche Firmensitz. Er ist auch Schauplatz einer Geschichte, die mit der 17 jährigen Textilarbeiterin Amalie Ryba beginnt.
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2. Mai 1893
Amalie Ryba sollte später heiraten, Amalie Seidel heißen und als Nationalratsabgeordnete sehr bekannt werden. Am 2. Mai 1893 arbeitet die damals 17-jährige seit wenigen Wochen als Packerin in der Textilfabrik. In einer eupohrische Rede auf den arbeitsfreien ersten Mai fordert Ryba bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne, daraufhin wird sie entlassen. Ihre Kolleginnen wollen sich das nicht gefallen lassen und beginnen einen Streik. Schon nach wenigen Stunden schließen sich Arbeiterinnen aus anderen Wiener Textilfirmen an und binnen Stunden streiken 700 Wiener Textilarbeiterinnen. Sie fordern eine Verkürzung der Arbeitszeiten von 12 auf zehn Stunden, bessere Bezahlung, und bessere Arbeitsbedingungen.
Wien als Zentrum einer ausbeuterischen Textilbranche
Seit 1850 war Wien zu einem Zentrum der Textilproduktion aufgestiegen, die Arbeitsbedingungen in der Branche waren katastrophal, erzählt die Historikerin Petra Unger.
„In der Fabrik wurden Textilien unter höchsten Temperaturen bearbeitet. Das heißt, die Frauen hatten permanent extrem hohe Temperaturen, zwischen vierzig und 45 Grad, außerdem zwölf Stunden Arbeitszeit und ganz wenig Pausen. Es ist nicht selten vorgekommen, dass die Frauen ohnmächtig geworden sind während der Arbeit.“
Die industrielle Revolution war auch in Österreich in vollem Gange, und überall begannen sich Arbeiterinnen und Arbeiter zu organisieren. In den Jahren zuvor hatten sie sich dieses Recht mühsam erkämpft. Erst 1867 gab es eine Verfassung, in der die Versammlungsfreiheit festgelegt war. Damit konnten die ersten sogenannten Arbeiterbildungsvereine gegründet werden. Gewerkschaften waren aber verboten, denn es galt das sogenannte Koalitionsverbot. Auch als dieses Verbot 1870 aufgehoben wurde, wurden immer wieder Gewerkschaften oder Vereine verboten. Noch 1893 waren Streiks nicht ungefährlich. Vor den Fabriken kam es zu Verhaftungen, manche Frauen wurden von Polizisten geohrfeigt.
Solidarität über Sprachgrenzen hinweg
Das größte Risiko ging aber von Streikbrecherinnen aus. Während der gesamten zwei Wochen des Streiks gab es aber nur sehr wenige Streikbrecherinnen. Diese Solidarität, so Unger, funktionierte auch über Sprachgrenzen hinweg.
„Viele Textilarbeiterinnen waren aus Böhmen und Mähren. Reden wurden daher auch auf Slowakisch und Tschechisch gehalten, das war damals offensichtlich kein Problem und hat euphorischen Zuspruch und Beifall von den Arbeiterinnen hervorgerufen“
So gelang den Frauen eine kleine Sensation. Am 17. Mai erklärten sich die Fabriksbesitzer zu weitreichenden Zugeständnissen bereit. Die Arbeitszeit wurde auf 10 Stunden verkürzt. Nur mehr in Ausnahmefällen durfte an Feiertagen gearbeitet werden, dafür musste dann 50 Prozent mehr Lohn bezahlt werden, ebenso wie bei Überstunden. Es wurde ein Mindest-Wochenlohn festgesetzt, was einer Lohnerhöhung gleichkam(?). Amalie Ryba wurde wieder eingestellt und von den Streikenden Arbeiterinnen durfte die folgenden 6 Monate keine entlassen werden.
Die Rolle der Vorkämpferinnen
Auffallend an den Streikenden war außerdem dass sie plötzlich gesund aussahen. Zum ersten Mal hatten sie so etwas wie Freizeit und konnten gemeinsam und mit ihren Kindern Ausflüge unternehmen. Plötzlich habe es für die Frauen ein Leben außerhalb der Fabrik gegeben, meint Unger:
„diese Vorstellung: meine Arbeits – und Lebensbedingungen sind nicht gottgegeben und unveränderbar. Sondern ich kann sie verändern, wenn ich mich mit anderen zusammentun“
Dass es beim guten Leben um mehr ging als um gute Arbeitsbedingungen, auch das war eine Erkenntnis aus dem Textilarbeiterinnenstreik von 1893.
Gestaltung: Alexandra Siebenhofer
Links
Petra Unger
Neue Freie Presse vom 17.5. zum Ende des Streikes
Beitrag über Amalie Ryba (Seidel) in derstandard.at
Biografie Amalie Ryba (Seidel) Stadt Wien