Wussten Sie, dass in Österreich eine Million Menschen leben, die nicht wählen dürfen? In Wien ist es sogar jede fünfte Person. Drittstaatsangehörige sind sogar auf Bezirksebene von der politischen Mitbestimmung ausgeschlossen. Das könnte aber längst nicht mehr so sein, hätte der Verfassungsgerichtshof 2004 anders entschieden.
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Bezirkswahlrecht für Drittstaatsangehörige
Politische Rechte sind in Österreich stark an die Staatsbürger_innenschaft geknüpft. Die Einbürgerung ist frühestens nach 10 Jahren möglich. Ein Grund dafür, wieso in Österreich viele Einwohner_innen von der politischen Mitbestimmung ausgeschlossen sind. Nur Unionsbürger_innen dürfen wählen, jedoch bloß auf Gemeindeebene mit einer Ausnahme: in Wien dürfen EU-Staatsbürger_innen lediglich auf Bezirksebene mitbestimmen.
Drittstaatsangehörige sind sogar auf Bezirksebene von der politischen Mitbestimmung ausgeschlossen. Das könnte aber längst nicht mehr so sein, hätte der Verfassungsgerichtshof 2004 anders entschieden.
Der Verfassungsgerichtshof hat ein Gesetz zu Fall gebracht, das Drittstaatsangehörigen in Wien erlaubte, die Bezirksvertretung zu wählen und als Bezirksrät_in gewählt zu werden. Fünf Jahre in Wien leben, das war die einzige Voraussetzung für das Wahlrecht auf Bezirksebene, das von der Staatsbürger_innenschaft entkoppelt wurde. Mit den Stimmen der SPÖ und der Grünen wurde dieses Gesetz 2003 im Wiener Landtag beschlossen und auf Initiative der ÖVP und FPÖ vor den Verfassungsgerichtshof gebracht, der das Gesetz 2004 für verfassungswidrig erklärt hat.
Ausweitung des Wahlrechts
Ist es gerecht, dass eine EU-Bürgerin auf Bezirksebene wählen darf und eine drittstaatsangehörige Person nicht, auch wenn sie schon seit Jahren in Österreich lebt?
„Das allererste Demokratiekonzept war schon von Ausschluss geprägt“, sagt Petra Unger, Kulturvermittlerin und Expertin für Gender Studies und feministische Forschung. Im Laufe der Geschichte wurde das Wahlrecht jedoch schrittweise für immer mehr Bevölkerungsgruppen geöffnet. Das war auch ein Erfolg der emanzipatorischen Bewegungen, wie der Frauenrechtsbewegung. Die Wahlrechtsgeschichte zeigt, dass das Recht zu wählen, schon immer ein umkämpftes Terrain und von unterschiedlichen Vorstellungen von Gerechtigkeit geprägt war.
Es geht auch anders
So wie es um 1900 nicht selbstverständlich war, dass Frauen wählen dürfen, so löst heute die Forderung nach Wahlrecht für Nicht-Staatsbürger_innen häufig Abwehr und Befremden aus. Und das obwohl es auch anders gehen könnte: „Europaweit war Irland das erste Land, das 1963 ein Wahlrecht auf kommunaler Ebene auch für Nicht-Staatsangehörige eingeführt hat“, sagt Politikwissenschaftler Gerd Valchars, der am Institut für Staatswissenschaften lehrt. In diesen Ländern entscheidet der Wohnort oder der Aufenthaltsstatus der Person über die Möglichkeit der politischen Teilhabe und nicht die Staatsbürger_innenschaft. In 50 von rund 200 Ländern ist das Wahlrecht für Nicht-Staatsbüger_innen in der einen oder anderen Form derzeit Realität und keine Utopie mehr. In Neuseeland, Uruguay, Chile und Malawi dürfen Drittstaatsangehörige sogar auf nationaler Ebene wählen.
„WahlweXel jetzt!“
Damit sich das Wahlrecht in Österreich für Nicht-Staatsbürger_innen öffnen kann, bräuchte es eine Verfassungsänderung und somit eine 2/3 Mehrheit im Parlament. Diese zeichnet sich jedoch nicht ab. Wer sofort aktiv werden will, kann bei der Initiative „WahlweXel jetzt!“ mitmachen.
„WahlweXel jetzt!“ gibt nicht-wahlberechtigten Personen die Möglichkeit zu wählen, sagt Imayna Caceres, die bei der Initiative aktiv ist. Und das funktioniert so: eine wahlberechtigte Person kreuzt am Wahlzettel jene Partei an, die sich die nicht-wahlberechtigte Person ausgesucht hat.
„Personen sollen an Entscheidungen mitwirken können, von denen sie betroffen sind“, sagt Gerd Valchars. Das ist das Grundprinzip der Demokratie. Somit sollten auch Nicht-Staatsbürger_innen, die in Österreich leben, das Recht auf politische Mitbestimmung auf allen Ebenen bekommen. „WahlweXel jetzt!“ – der Kampf um die Ausweitung des Wahlrechts geht weiter.
Aleksandra Kolodziejczyk