Ginzkeyhof

15. Sperrzone Gemeindebau. Wohnen im Spekulationsobjekt.

Der Wiener Gemeindebau war lange Zeit nur österreichische Staatsbürger_innen zugänglich. Eine Regelung der Stadt Wien verwehrte Arbeitsmigrant_innen ohne österreichische Staatsbürgerschaft  den Zugang zum Gemeindebau und damit zu einem Viertel des Wiener Wohnungsmarktes.

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Welche Möglichkeiten hatten also Arbeitsmigrant_innen, die über die Anwerbeabkommen nach Wien kamen? Eigentumswohnungen oder Genossenschaftswohnungen konnten sich viele nicht leisten also waren sie auf den privaten Mietsektor angewiesen. Ursula Reeger, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, beschreibt die Situation wie sie in den 80er-Jahren am privaten Mietwohnungsmarkt dargestellt hat:

„Was dann geblieben ist, ist der Sektor der privaten Mietwohnungen, die sich in Wien damals hauptsächlich im gründerzeitlichen Baubestand befunden haben. Das waren sehr oft Substandardwohnungen, die sehr billig waren und das ist eben die gesamte Zone entlang des Gürtels, die sich also von Döbling bis  Favoriten etc. zieht.“

In solchen Wohnungen, ohne Heizung, Bad, WC und oft nicht einmal fließendem Wasser, lebten damals 80% Arbeitsmigrant_Innen aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien. Es waren oft Wohnungen in lange nicht sanierten Zinshäusern – sogenannte Spekulationsobjekte. Um den höchstmöglichen Gewinn aus dem Haus zu holen, wurden sie zu verhältnismäßig hohen Preisen an Arbeitsmigrant_innen vermietet. Der Quadratmeterpreis, den die Migrant_innen bezahlten lag durchschnittlich bei etwa 47 Schilling, was fast das Doppelte des gesamtösterreichischen Durchschnitts war. Das ergab eine Studie von Hannes Wimmer Mitte der 80er Jahre.

Auch Firmenunterkünfte sind keine Alternative

Im Anwerbeabkommen selbst war vorgesehen, dass die Unternehmen für eine Wohnmöglichkeit der angeworbenen Arbeitskräfte sorgen sollten. Daher stellten einige Arbeitgeber_innen  Firmenunterkünfte oder Zimmer in Wohnheimen zur Verfügung. „Vier Personen, sechs Personen, acht Personen, ein paar Spinde und das Bett, draußen beim Eingang ist eine Kochnische. Eine Zimmer-Küche-Wohnung war das,“ so beschreibt Arif Akkılıç, vom Arbeitskreis des Archivs der Migration, eine typische Firmenunterkunft. Auf individuelle und menschliche Bedürfnisse wurde meist wenig bis gar nicht Rücksicht genommen, die angeworbenen Arbeitskräfte sollten sich vor allem finanziell rechnen. Es verwundert nicht, dass viele Arbeitsmigrant_innen von den Wohnverhältnissen in Wien enttäuscht waren.

Erst die Europäische Union bringt den Zugang zum Gemeindebau

Selbst hatten die Migrant_innen nur wenige Möglichkeiten gegen Diskriminierung vorzugehen.  Aber auch ein politisches Interesse für eine Verbesserung der Situation zu sorgen, z.B. durch die Öffnung der Gemeindebauten, gab es nicht. Der Zugang zum Gemeindebau war lange durch Parteibuchwirtschaft bestimmt. Menschen ohne Wahlrecht waren daher keine Zielgruppe für die Politiker_innen des Roten Wien. Zusätzlich war der österreichische Wohlfahrtsstaat geprägt von einer nationalistischen Sichtweise. Nur Menschen mit österreichischer Staatsbürger_innenschaft sollten Zugang zu staatlicher Unterstützung haben.

Erst 2006, und nur auf Druck der Europäischen Union, wurde der Wiener Gemeindebau auch für  Menschen ohne österreichische Staatsangehörigkeit geöffnet. Bernhard Perchinig, Migrationsforscher an der Universität Salzburg und der Donau-Universität Krems, erklärt:

„Es gibt diesen Aufenthaltstitel ‚Daueraufenthalt EG‘ oder ‚Daueraufenthalt Familie EG‘. Die Personen, die diesen Rechtstitel haben sind gleichgestellt, also müssen die üblichen zwei Jahre Aufenthaltsdauer in Wien nachweisen und die sozialen Kriterien. Sozusagen spielt die Staatsbürgerschaft keine Rolle.“

Auch wenn die Öffnung der Gemeindebauten einen positiven Effekt hatte, erfüllen 40% der Menschen ohne österreichische Staatsbürger_innenschaft die Kriterien für diesen Aufenthaltstitel nicht und haben dort nach wie vor keinen Zugang.

Gestaltung: Julia Hofbauer

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