ehemalige Fremdenpolizei

14. Wer protestiert, wird abgeschoben

5. Dezember 1977. Erol Sever, seit über 10 Jahren sogenannter „Gastarbeiter“ in Österreich wird von der Fremdenpolizei festgenommen und schon am nächsten Tag in die Türkei abgeschoben. Mit ein Grund für die Deportation: zwei Wochen zuvor war Sever Redner bei einer Demonstration gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz gewesen.

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Sever ist nicht der Erste, der abgeschoben wird, weil er in Österreich protestiert. Bereits in den 1960  Jahren wird sogenannten Gastarbeitern klargemacht:  sie sollten arbeiten und still halten. Interessant seien dabei zwei Vorfälle, erklärt der Migrationswissenschaftler Ljubomir Bratić

„1965 streiken in einer Fabrik Arbeiter, sie werden entlassen. In der Arbeiterzeitung heißt es damals, sie würden, möglicherweise abgeschoben. Die Abschiebung steht also im Raum, ist aber nicht fix. Ein Jahr später streiken ebenfalls in Salzburg Arbeiter in einer anderen Fabrik. Von ihnen wird dann bereits berichtet, dass sie abgeschoben wurden.“

Ein Gummiparagraph im Fremdengesetz

Irgendwann zwischen 1965 und 1966 setzte sich also die Devise durch: „Wer protestiert, wird abgeschoben“. Möglich machte das eine Formulierung im Fremdenpolizeigesetz, die es auch heute noch in ähnlicher Form gibt. 1966 lautete sie

 „Gegen Fremde, deren Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen öffentlichen Interessen zuwiderläuft, kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden.“

Abgeschoben werden kann, wer als Störung empfunden wird. Genau das ist aber eine Frage der Auslegung. „Wenn jemand bei der Ampel über gelb oder rot fährt – ist das eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, und Ordnung?“ erinnert sich Arif Akkılıç. „Die Fremdenpolizei hat also ein Gesetz in der Hand gehabt, wo sie nach Ermessen Aufenthaltsverbote aussprechen konnte“

Hinzu kommt: fast immer ist die Aufenthaltsbewilligung an eine Arbeitsstelle geknüpft. Wer also protestiert und dann deswegen die Arbeit verliert,  bekommt möglicherweise kein Visum mehr.

Damit gibt es für Migranten und Migrantinnen praktisch keine Möglichkeit, gegen Ungerechtigkeit zu protestieren. Selbst Rechte, die in den Anwerbeabkommen mit Spanien (1962), der Türkei (1964) und Jugoslawien (1966) zugesichert werden, bestehen nur auf dem Papier. So ist in den drei Anwerbeabkommen von einem Koalitionsrecht die Rede. In der Realität wurden dann zwar „Sprecher“ ernannt, sie waren aber oft nur als kostenlose Betriebsdolmetscher eingesetzt. Dahinter steht vor allem ein Gedanke, so Bratić

 „Man darf den Fremden nicht erlauben, sich zu organisieren, sonst kommt die Gesellschaft zum Absturz . Was wir nicht vergessen dürfen, ist, dass wir damals in einem postnazistischen Staat sind. Es gab 500.000 ehemalige Wehrmachtangehörige. Das heißt es gibt durchaus eine Kontinuität des rassistischen Blicks.“

Einer post-nazistischen Tradition folgen auch die Fremdenpolizeigesetze. Noch bis 1954 gilt die von den Nationalsozialisten 1938 erlassene Ausländerpolizeiverordnung. Erst 9 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges wird sie durch das neue Fremdenpolizeigesetz ersetzt und gilt nahezu unverändert bis 1987. Menschenrechtliche Bedenken – etwa, dass Abschiebungen unter bestimmten Bedingungen Gründen unzulässig sind – finden sich dort nicht.

Der Kampf um Normalität

Existentiell bedrohlich wird das für viele, als Mitte der 1970er Jahre die sogenannten Gastarbeiter plötzlich nicht mehr willkommen sind. Ab 1974 werden die Arbeits-Kontingente eingefroren, 1976 gibt es mit dem ersten Ausländerbeschäftigungsgesetz de facto einen „Ausländerstopp“.

Alltag wird zum Widerstand, der Kampf um Normalität rückt in den Mittelpunkt. In den neugegründeten Sportvereinen, Musikgruppen und Freizeitclubs finden sich aber auch jene Kritikerinnen und Kritiker, die später NGOs ins Leben rufen, Rechtsberatung anbieten und österreichische Gesetze vor dem Verfassungsgerichtshof beanstanden.

Ab 1992 wird das österreichische Fremdenrecht dann umfassend novelliert. Weitere Änderungen folgen 1997, 2003, 2005, 2008, 2009, 2011 und 2013. Einfach abgeschoben zu werden, weil man protestiert, das ist heute nicht mehr möglich. Aber Abschiebungen sind noch stets Realität und während bis 1991 die Schubhaft maximal drei Monate dauern durfte, sind es ab 1992 sechs, heute 10 Monate.

Erol Sever, der junge Mann, der 1977 abgeschoben wurde hat das alles nicht mehr beobachtet. Nach seiner Abschiebung ging er nach Schweden, dort hat er für eine türkische Zeitung gearbeitet und ein Buch geschrieben. In den 1980er Jahren ist Erol Sever dann in Schweden verstorben.

Gestaltung: Alexandra Siebenhofer

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